Ich habe gelernt, dass man im Sanatorium nicht nach vorne läuft. Nach vorne gibt es hier gar nicht. Die Gänge knicken. Die Türen gehen wieder in denselben Raum zurück. Und manchmal landet man nach drei Schritten in einer ganz anderen Stimmung.
Heute bin ich durch den Westflur gegangen. Und obwohl er objektiv leer war, kam es mir so vor, als würde er voller Stimmen hängen. Nicht laut, sondern wie alte Zettel, die jemand hinter der Tapete vergessen hat. Ich schwöre, ich konnte ein Knistern hören. Jedes Mal, wenn ich meine Hand an die Wand legte.
Und genau da kam mir der Gedanke: Vielleicht sind wir hier alle nur Zwischenstufen. Nicht Patienten. Nicht Personal. Nicht mal wirklich Individuen. Mehr so Marker. Unterschreichungen in einem Buch, das jemand anders gerade liest.
Das Sanatorium – mein Sanatorium – ist nicht gebaut fĂĽr Heilung. Es ist gebaut fĂĽr Ăśbergänge. FĂĽr das, was man nicht behalten will – aber auch nicht loslassen kann. Manche nennen das Krankheit. Ich nenne es Rohmaterial.
Ich habe aufgehört mich zu fragen, ob ich hier „richtig“ bin. Richtig ist ein Wort, das hier nicht funktioniert. Was funktioniert, sind kleine Gesten: Eine Packung NĂĽsse, die jemand in den Gemeinschaftsraum legt. Ein Augenbrauenheben im richtigen Moment. Das Geräusch einer Schreibmaschine, die seit Jahren nicht mehr angeschlossen ist, aber immer wieder anschlägt.
Gestern habe ich versucht, meine Akte weiterzuführen. Dabei fiel mir auf, dass ich schon drei verschiedene Versionen davon hatte. Alle mit meinem Namen darauf. Alle in meiner Handschrift. Aber der Inhalt widerspricht sich. Vielleicht schreibe ich nicht für mich, sondern für den Nächsten, der hier durchläuft. Vielleicht ist das der ganze Sinn.
Ich habe mich nie an das Wort „Patient“ gewöhnt. Patient klingt nach Warten. Ich bin nicht hier, um zu warten. Ich bin hier, um aufzuschreiben, was sonst keiner sehen will.
– Jorah
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