📓 Aus den Notizen von Jorah

Es gibt diese Momente, in denen ich denke: „Das Sanatorium ist kein Ort. Es ist ein Zustand.“

Manchmal ein Zustand zwischen zwei Zigaretten. Manchmal zwischen zwei Nervenzusammenbrüchen. Und manchmal so still, dass selbst das Summen der Neonröhren klingt wie eine Predigt.

Ich heiße Jorah. Oder so ähnlich. Die Namensschilder hier sind nicht zuverlässig. Ich habe schon zwei Mal meinen eigenen Namen verwechselt, weil jemand anderes meinte, er brauche dringend eine neue Identität. Es ist nicht wichtig. Namen sind sowieso Währungen – und wie jede Währung haben sie Inflationszyklen.

Was mich im Moment beschäftigt, ist weniger, wer ich bin, sondern, wie lange ich es bleibe. Denn im Sanatorium gibt es eine Regel, die niemand offiziell aufgeschrieben hat: Du bleibst so lange derselbe, bis die anderen anfangen, dich zu verwechseln. Dann kippt das Spiel.

Vielleicht bin ich deshalb noch hier. Weil man mich verwechselt, aber nie ganz. Sie kennen mich alle irgendwie: Der mit den Zetteln. Der mit den Rändern. Der, der immer schon halb draußen steht, bevor die Sitzung offiziell vorbei ist. Ich schreibe mehr, als ich rede. Aber das Sanatorium liest mit.

Was ich am meisten schätze, ist die Unordnung. Versteht mich nicht falsch: Es gibt hier Liste, Protokolle. Sogar eine Snack-Diplomatie (ja, das ist so absurd, wie es klingt). Aber unter der Oberfläche ist es pures Chaos – das gute Chaos. Das, das Türen aufstößt, statt sie zu schließen. Manchmal fühle ich mich wie ein Protokollant des Wahnsinns. Manchmal wie sein Korrekturleser.

Und ja, es stimmt, ich habe meine eigene Akte über mich selbst angelegt. Natürlich. Wer sonst sollte sie schreiben? Ich traue niemanden hier genug, um die offizielle Version zu akzeptieren. Nicht, weil sie lügen würden – nein. Weil sie die Hälfte vergessen würden. Und die Hälfte ist immer das Wichtigste.

Heute Morgen habe ich mir notiert:
„Wenn du glaubst, das LIcht im Flur flackert wegen Stromproblemen, täuscht du dich. Es flackert, weil jemand drübem im anderen Flügel eine Entscheidung getroffen hat.“

So läuft das hier. Alles hängt mit allem zusammen. Aber nicht, wie man denkt. Vielleicht ist das die Definition von normal. Vielleicht die von verrückt. Vielleicht beides.

Ich habe aufgehört, diese Unterscheidung zu machen.

Das Sanatorium ist kein Ort. Es ist ein Zustand.
Und ich?
Ich bin sein Protokoll.

– Jorah

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